10
Mittlere Geschich te.
Bald nach seiner Rückkehr siel er in eine schwere Krankheit; er hielt
dieselbe für eine Folge von Gift, das ihm eine Jüdin beigebracht habe,
um zu erfahren, ob er auch ein Sterblicher sei. Bis zum dritten Tage
vor seinem Ende ließ er sich täglich in die Moschee tragen und betete.
Er starb in Medina im Jahre 632. Sein Sarg wird in der Moschee
daselbst noch heute gezeigt, und jeder gläubige Muhamedaner macht
wenigstens einmal in seinem Leben eine Wallfahrt dorthin.
o. Muhameds Lehren waren aus den Grundlehren des Heidentums,
Judentums und Christentums zusammengesetzt. Er lehrte einen ewigen,
durch ihn aufs neue geoffenbarten Gott, Allah, Schöpfer und Erhalter
der Welt, eine Auferstehung der Toten und ein ewiges Leben. Moses
und Jesus ließ auch er als Propheten gelten, sich selbst' aber nannte er den
größten und letzten Propheten. Die Lehren und zufälligen Äußerungen
Muhameds waren von seinen Anhängern auf einzelne Blatter geschrieben;
nach seinem Tode wurden diese zu einem Buche, Koran, d. h. Schrift,
vereinigt; das ist das heilige Buch der Moslemin. 1 Es umfaßt
Glaubens- und Sittenlehren, Vorschriften über Gottesdienst,
Ceremonieen und Gebete, Opfer und Wallfahrten Der Gott der Moslemin
ist nicht ein heiliger und gerechter, der die Sünden haßt und straft; auch
nicht ein erbarmender, eines solchen glauben sie nicht zu bedürfen, da er
seinen Anhängern gestattet, den Lüsten des natürlichen Menschen zu frönen,
wenn sie nur äußerlich die Gesetze und Gebräuche beobachten. Eine
wahre Reue kennt der Muhamedaner nicht. Auch die Vorstellungen über
das Leben nach dem Tode sind höchst sinnlich.
Der Himmel hat sieben Stufen, über der siebenten liegt das Paradies. Schatten-
reiche Gärten mit wohlschmeckendem Obste, anmutigen Bächen und von erfrischenden
Winden abgekühlt, unermeßliche Schätze, prächtige Kleider und Pferde, ausgesuchte
Speisen und Getränke, eine Bedienung von 80 000 Sklaven und 72 der schönsten,
ewig blühenden Jungfrauen — das sind die Freuden, welche den frommen Muselmann
erwarten. — Täglich fünfmal müssen die Moslemin sich waschen, darnach beten, das
Gesicht nach Mekka wendend; am Freitage, ihrem heiligen Feiertage, ist gemeinschaft-
licher Gottesdienst. Die Beschneidung und das Verbot des Schweinefleisches sind aus
dem Judentum herübergenommen. Auch der Genuß des Weines ist nicht gestattet,
wohl aber die Vielweiberei; doch ist die Zahl der Frauen auf vier beschränkt. —
„Beten führt auf halbem Wege zu Gott, Fasten bringt an den Eingang des Himmels,
und Almosen öffnen die Thür. Aber für den Glauben in der Schlacht streiten und
Feinde töten, das führt zur höchsten Seligkeit."
d. Spätere Ausbreitung des Islam. Die Nachfolger und Stell-
vertreter des Propheten, Kalifen genannt, fuhren fort, seine Lehre durch
Feuer und Schwert auszubreiten. Sie unterwarfen das Perserreich
bis zum Indus, ebenso Syrien, Phönicien und Palästina, er-
637 stürmten 637 Jerusalem und erbauten an der Stelle des Tempels
eine Moschee. Dann überschritten sie die Landenge von Suez, unter-
warfen Ägypten und eroberten nach 14monatlicher Belagerung das
wichtige Alexandria. Die ganze Nordküste Afrikas ward dann in
raschem Siegesläufe erobert; nur die Stadt Karthago widerstand noch
bis zum Ende des Jahrhunderts.
* Moslemin oder Muslemin bedeutet Gott-Ergebene; aus diesem Worte machten
' die Perser das Wort Muselman, die Deutschen das Wort Muselmänner.
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Die Reformation; Martin Luther.
105
Entscheidung des Papstes in einer Streitsache des Ordens einzuholen. Als
er der Türme Roms aus der Ferne ansichtig wurde, fiel er auf die
Erde, hob seine Hände auf und sprach: „Sei mir gegrüßt, du heiliges
Rom!" Später sagte er von dieser Reise: „Ich wollte nicht 100 000
Gulden dafür nehmen, daß ich Rom nicht sollte gesehen haben." Denn
hier in Rom konnte er das Verderben der Geistlichen und des Papstes
mit eigenen Augen sehen. Wenn er langsam und andächtig eine Messe
las, wurden die römischen Priester in derselben Zeit mit sieben Meffen
fertig und riefen ihm spottend zu: „Vorwärts, vorwärts, schicke unserer
lieben Frau ihren Sohn bald wieder heim!" In Rom war eine heilige
Treppe, die Pilatussteige, welche von dem Gerichtshause zu Jerusalem
nach Rom versetzt sein sollte; nur mit den Knieen durften die Büßenden
sie berühren. Auch Luther erstieg sie auf den Knieen, um den hohen
Ablaß zu erlangen, der daran geknüpft war; aber es war ihm, als hörte
er in seinem Innern eine Stimme rufen: „Der Gerechte wird seines
Glaubens leben." In Wittenberg angelangt, erstattete Luther seinem
väterlichen Freunde Staupitz von allem Bericht, was er auf der Reise
gehört und gesehen; da drang Staupitz in ihn, daß er ein Doktor der
Theologie werde. Luther entschuldigte sich und sprach zuletzt, er sei ein
schwacher und kranker Bruder, der nicht lange zu leben habe, man solle
sich nach einem tüchtigeren und gesunden umsehen. Da forderte Staupitz
den Gehorsam und fuhr scherzhaft fort: „Es läßt sich ansehen, unser
Gott werde bald viel im Himmel und auf Erden zu schaffen bekommen;
darum wird er viel junger und arbeitsamer Doktoren haben müssen."
Da leistete Luther 1512 den Doktoreid auf die heilige Schrift, „dieselbe
sein Leben lang zu studieren, zu predigen und den christlichen Glauben
mit Disputieren und Schriften wider alle Ketzer zu vertreten." Dieses
Eides hat er sich hernach oft getröstet.
1516 wurde Luther Visitator der Klöster in Thüringen und Meißen.
In allen fand er Unordnung und die gröbste Unwissenheit. Er empfahl
fleißiges Lesen in der Bibel und die Errichtung von Schulen. Ohne
Schulen, sagte er, würden die Menschen Bären und Wölfe.
2) Kampf gegen den Kökaß; Reichstag zu Worms.
9. Der Ablaßhandel; Tetzel. Um diese Zeit durchzog der Mönch
Johann Tetzel Deutschland und verkaufte Ablaß, d. h. Vergebung
der Sünden, um Geld. Es wurde gelehrt, Christus und die Heiligen
hätten unendlich mehr gethan, als sie nach dem göttlichen Gesetze schul-
dig gewesen. Der Überschuß ihrer guten Werke komme allen Christen
zu gute und bilde einen Schatz für die Kirche, über welchen dem Papste,
dem Statthalter Christi, die Verfügung zum Besten aller Sünder zustehe.
Diese Lehre benutzten die Päpste, Geld zu gewinnen. Der damalige
Papst, Leo X., gab vor, er gebrauche das Geld zum Aufbau der
Peterskirche in Rom. In der That aber kam ein großer Teil der Ablaß-
gelder der Familie des Papstes zu gute. Früher mußten die Leute den
Ablaß aus Rom holen, später hatten die Päpste den Verkauf desselben
besonderen Leuten übertragen, die ihnen dafür eine ansehnliche Pacht-
summe entrichteten. In Deutschland hatte zu Luthers Zeiten der Kardinal
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Extrahierte Personennamen: Martin_Luther Luther Johann Christi Leo_X. Leo_X.
Extrahierte Ortsnamen: Roms Rom Rom Jerusalem Rom Wittenberg Worms Rom Rom Deutschland
Chlodwig.
3
In Paris gelobte er den zwölf Aposteln, da, wohin er gerade seine Streit-
axt schleuderte, nach glücklicher Rückkehr eine Kirche zu bauen. Er be-
siegte die Westgoten bei Vougle (spr. Wuglee), nahe bei Portiers 507
(Poatje). Der Westgotenkönig Älarich wurde von Chlodwig beim Auf-
einanderrennen in der Schlacht durchbohrt; Chlodwig unterwarf sich
das Land bis zur Garonne. Den südlichsten Teil Galliens erhielt der
Sohn des gefallenen Königs, beschützt von seinem Großvater, dem Ost-
gotenkönige'theodorich. Spanien wurde seitdem der Hauptsitz der
Westgoten; ihre Hauptstadt wurde Toledo.
Auf der Heimkehr erhielt Chlodwig in Tours (spr. Tuhr) von dem
oströmischen Kaiser für die Besiegung der ketzerischen Arianer Titel und
Gewand eines römischen Patricius. (Beschützer Roms.) In der
Kirche, vor dem Grabe des heiligen Martin', bekleidete er sich mit der
purpurnen Toga und setzte sich die Krone aufs Haupt. So geschmückt,
trat er unter das Volk. Jetzt erst betrachteten ihn die besiegten Gallier
als ihren rechtmäßigen König, und auch den Franken erschien er im
Lichte höherer Würde.
e. Chlodwigs Grausamkeit und Tod. Als Chlodwig so Gallien
im Osten bis an die Rhone, im Süden bis an die Garonne erobert
hatte, suchte er durch grausame Ermordung aller fränkischen Stammes-
häupter die Herrschaft über das ganze Frankenreich sich und seinen Nach-
kommen zu sichern.
Dem Sohne des Siegbert von Köln schrieb er: „Dein Vater ist lahm
und zu alt, um noch König zu sein." Der Sohn ließ infolgedessen den Vater er-
morden, als dieser auf einer Jagd im Walde Mittagsruhe bielt. Als der Mörder
aber den Gesandten Chlodwigs die gewonnenen Schatze zeigen wollte und sich beim
Offnen des Kastens bückte, erschlug ihn einer der Franken hinterrücks mit der Streit-
axt. Dann sprach Chlodwig zum Volke: „Meines Detters Sohn hat seinen Vater
durch Meuchelmörder umbringen lassen und jetzt selbst — durch wen, weiß ich nicht —
den verdienten Lohn gefunden. Es ist sündhaft, das Blut seiner Verwandten zu ver-
gießen. Wendet euch zu mir und begebt euch in meinen Schutz." Da erwählte ihn
das Volk zum Könige.
Ein Frankenfürst hatte Chlodwig nicht gegen die Römer geholfen. Jetzt ließ
dieser ihm und seinem Sohne die Haare scheren und machte beide zu Geistlichen.
Der Sohn sprach zum Vater: „Das Laub ist abgestreift, aber das Holz noch grün
und kann zum Verderben jenes wieder Blatter treiben." Da ließ Chlodwig beide
hinrichten und nahm ihr Land in Besitz. Ein anderer Frankenfürst war wegen seiner
Schwelgerei bei seinen Unterthanen verhaßt. Chlodwig bestach einige aus dessen
Gefolge durch eherne Waffenringe und Wehrgchenke, die er für goldene ausgab. Da
führten sie ihren Herrn gebunden vor Chlodwig; dieser rief aus: „Wie hast du unser
Geschlecht so tief erniedrigen können, dich binden zu lassen? besser der Tod!" und
mit der Streitaxt spaltete er ihm den Kopf. Dann schlug er auch des Königs Bruder
mit den Worten nieder: „Hättest du deinem Bruder geholfen, so wäre er nicht
gebunden worden!" Zu den Rittern aber sprach-Lr: „Für eure falschen Thaten
gebührt euch falsches Geld. Freut euch, daß ich euch für euren Verrat nicht hin-
richten lasse!" Als er seine ganze Familie ausgerottet hatte, hörte man ihn oft
klagen, daß er freundlos und allein stünde. Er that es aber nur, um den, der sich
etwa zeigen würde, gleichfalls zu ermorden. Dennoch sagt der alte Geschichtsschreiber 1
1 Der heilige Martin, ein germanischer Kriegsmann, war im 4. Jahrhundert
als christlicher Missionar in Gallien aufgetreten und hatte das große Münster in
Tours gestiftet.
1*
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112
Neue Geschichte.
nämlich also: Es sei denn, daß ich durch Zeugnis der heiligen Schrift,
oder mit klaren und Hellen Gründen überwunden werde ... so bin ich
gefangen in meinem Gewissen in Gottes Wort, und mag und kann ich
nicht widerrufen, weil es weder sicher noch geraten ist, etwas gegen
das Gewissen zu thun. Hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe
mir! Amen." Nach diesen Worten wurde Luther in seine Herberge zu-
rückgeführt. —
Im Saale war zuletzt Unruhe und Geschrei entstanden. Die Nacht war herein-
gebrochen, und die Versammelten gingen auseinander. Als man Luther abführte,
meinten die Deutschen^zuerst, man führe ihn gefangen, und machten ein Getümmel;
ein großer Teil der Spanier verfolgte ihn mit lautem Zischen und Höhnen. Um
8 Uhr kam Luther in seine Herberge; seinen Freunden jagte er: „Wenn ich tausend
Köpfe hätte, so wollte ich sie mir eher abhauen lassen, als einen Widerruf thun."
Durch sein männliches Auftreten hatte sich Luther Freunde erworben. In seiner
Herberge hatte er mehr Zuseher und Anseher, als alle Fürsten und Herren. Noch in
den Reichtagssaal hatte ihm der katholische Herzog Erich von Braunschweig eine
silberne Kanne mit Eimbecker Bier geschickt. Der Kurfürst von Sachsen rief Spalatin
in seine Kammer und sagte ihm: „Wohl siat Vater Dr. Martinus geredet vor dem
Herrn Kaiser und allen Fürsten und Ständen des Reichs und ist mir nur zu herzhaft
gewesen." Der Landgraf Philipp von Hessen gab Luther mit den Worten die Hand:
„Habt ihr recht, Herr Doktor, so helf'euch Gott!" Von der Ebernburg erhielt Luther
Briefe mit der Zusage, daß es ihm air Verteidigern nicht fehlen werde.
Noch einmal wurde der Versuch gemacht, Luther zum Widerruf zu
bewegen, aber umsonst. Er antwortete mit den Worten Gamaliels:
„Ist der Rat oder das Werk aus Menschen, so wird es untergehen; ist
es aber aus Gott, so werdet ihr es nicht dämpfen können." Da entließ
man ihn. Der Kaiser hielt ihm das Geleit auf 21 Tage, und als einige
ihm sagten, einem Ketzer brauche man sein Wort nicht zu halten, ant-
wortete Karl V.: „Wenn in der ganzen Welt auch keine Treue noch
Glauben zu finden wäre, so müßten sie doch beim römischen Kaiser sein;
ich will nicht erröten, wie einst Kaiser Sigismund." Dennoch suchte
der Kaiser noch vor dem Schluffe des Reichstags Luthers Werk zu ver-
nichten. Als die meisten Fürsten schon abgereist waren, beschied er die
noch anwesenden drei geistlichen Kurfürsten und den streng katholischen
Joachim 1. von Brandenburg in seine Wohnung und legte ihnen das
Wormser Edikt zur Unterschrift vor. In demselben wurde jede Ver-
breitung der neuen Lehre verboten und Luther für einen Ketzer und in
die Acht erklärt: niemand, so hieß es darin, solle ihn „hausen, Höfen,
ätzen oder tränken," sondern gefangen nehmen und vor den Kaiser bringen.
e. Luther auf der Wartburg. Luther war aber bereits in Sicher-
heit gebracht. Kurfürst Friedrich hatte ihm schon sagen lassen, man
werde ihn beiseite bringen. Als Luther auf der Rückreise von Worms
bei Eisenach seitwärts lenkte, um einige Freunde zu besuchen, sielen be-
waffnete Reitersleute seinen Wagen an, rissen ihn heraus und brachten
ihn ungesehen auf die Wartburg bei Eisenach. Hier wurde Luther
als ein „Junker Georg" behandelt, erhielt ritterliche Kleidung und mußte
sich den Bart und die Haupthaare wachsen lassen. Anfangs gefiel ihm
das Leben in „der Region der Vögel" nicht; er schrieb: „Ich wollte für
die Ehre des göttlichen Worts lieber auf glühenden Kohlen brennen, als
hier in der Einsamkeit halb leben und verfaulen." Mitunter ritt er,
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Extrahierte Personennamen: Luther Erich_von_Braunschweig Spalatin Philipp_von_Hessen Philipp Luther Karl_V. Karl_V. Sigismund Joachim_1._von_Brandenburg Friedrich Friedrich
104
N e u c Geschichte.
Musik, die er so sehr liebte. Tags darauf trat er ins Kloster ein. Mit Thränen
gaben ihm seine Freunde das Geleit. Der Vater fühlte die kindliche Pflicht verletzt
und sagte dem Sohne die väterliche Gunst ab; erst lange nachher, als ihm schon
zwei Söhne gestorben, gab er seine Einwilligung und ließ sich bereit finden, der ersten
Messe seines Sohnes beizuwohnen.
o. Zin Kloster ließ es sich Luther blutsauer werden. Zu den nie-
drigsten Diensten verwandte man ihn: er mußte die Kirche fegen, die
Glocke läuten, die Thür hüten und lief mit dem Sack in der Stadt
umher, um für das Kloster zu betteln. Auch im Kloster fand er eine
Bibel, die er fleißig las. Wenn Luther aber andächtig in derselben
forschte, störten ihn die älteren Mönche und sagten: „Mit Betteln, nicht
mit Studieren dient man dem Kloster." Dann mußte er wieder hin-
aus, um Brot. Fleisch, Fische, Eier, Getreide und Geld zu erbetteln.
Dabei zermarterte er sich mit Beten, Fasten und Kasteiungen und war
dennoch stetig betrübt und ohne Trost. „Wahr ist es", sagt er von sich
selbst, „ein frommer Mönch bin ich gewesen und habe so streng meinen
Orden gehalten, daß ich's bekennen darf: ist je ein Mönch gen Himmel
kommen durch Möncherei, so wollte ich auch hinein kommen sein, denn
ich hätte mich, wo es länger gewähret, zu Tode gemartert mit Beten,
Fasten, Wachen, Frieren. Dennoch war ich so traurig und betrübt, daß
ich gedachte, Gott wäre mir nicht gnädig." „O meine Sünde, Sünde,
Sünde!" schrieb er an Staupitz, den Vorsteher seines Ordens, und
dabei wußte er diesem keine bestimmte Sünde zu beichten. Vergebens
suchten seine Freunde ihn aufzumuntern; oft schloß er sich mehrere Tage
in seine Zelle ein und ließ sich nicht sehen. Als es einst wieder geschehen,
erbrachen seine Freunde mit Gewalt die Thür und fanden ihn ohn-
mächtig am Boden liegen. Da stimmten sie mit einigen Chorknaben
im Kreuzgewölbe einen Choral an, und die Musik brachte ihn ins Leben
zurück. Ein treuer Klosterbruder sprach zu Luther: „Kennst du denn das
Wort nicht: ich glaube an eine Vergebung der Sünde?" Das tröstete ihn.
Als Luther dem Dr. Staupitz die Bekümmernis seines Herzens entdeckte,
befreite ihn derselbe von den niederen Diensten und sprach tröstend zu
ihm: „Du weißt nicht, lieber Martin, wie nützlich und nötig dir solche
Anfechtung ist; denn solche schickt Gott dir nicht vergebens. Du wirst
sehen, daß er dich zu großen Dingen brauchen wird." Dann zeigte
Staupitz ihm den Weg der wahren Buße und des Glaubens an den
Heiland, der nicht um gemalter, sondern wirklicher Sünden willen
gestorben sei. Durch Staupitz wurde Luther Professor an der
1508 Universität zu Wittenberg. Diese Universität war erst kürzlich
durch den Kurfürsten Friedrich den Weisen errichtet worden. Luther
lehrte hier anfangs nur weltliche Wissenschaften; daneben drang er auch
tiefer in die Theologie, in „den Kern der Nuß," ein. Er wohnte
auch in Wittenberg noch im Augustinerkloster. Aus Schüchternheit lehnte
er es anfangs ab, zu predigen. „Herr Doktor," sagte er zu Staupitz,
„ihr bringt mich um mein Leben, ich werde es nicht ein Vierteljahr
treiben." Endlich versuchte er es doch und zwar mit solchem Beifall,
daß er später zum Prediger an der Hauptkirche zu Wittenberg erwählt ward.
Wie großes Vertrauen der Orden in Luther setzte, sieht man dar-
aus, daß er im Jahre 1511 nach Rom geschickt wurde, um die
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Extrahierte Personennamen: Martin Friedrich Friedrich
Extrahierte Ortsnamen: Wittenberg Wittenberg Wittenberg Rom
106
Neue Geschichte.
Albrecht, Erzbischof zu Mainz und Magdeburg und Bruder des Kur-
fürsten Joachim I. von Brandenburg, diese Vollmacht. Der Papst
hatte ihm gestattet, die Hälfte der in Deutschland aufkommenden Ablaß-
gelder behalten zu dürfen. Er betraute den Orden der Dominikaner
mit dem Verkaufe des Ablasses.
Der Dominikanermönch Tetzel betrieb den Handel mit besonderer Unverschämt-
heit. Kam er vor eine Stadt, so ließ er hineinsagen: „Die Gnade Gottes und des
heiligen Vaters ist vor euern Thoren." Dann zogen Bürgermeister, Rat, Geistliche
und Schulkinder und alles Volk hinaus, holten ihn mit Musik herein, läuteten mit
allen Glocken und zogen feierlich zur Kirche. Dort wurde Tetzel mit Orgelschall
empfangen. Dann richtete er vor dem Altare sein hohes, rotes Kreuz aus und
hängte des Papstes Wappen daneben. Hierauf stieg er auf die Kanzel und predigte
von der großen Gnade und Kraft, die der Ablaß haben solle. Darnach strömte das
Volk herbei, um sich für allerlei Sünden Vergebung zu kaufen. Man zahlte für
einen Meineid neun, für einen Mord acht Dukaten. Ja, man konnte auch Ablaß
erhalten für Sünden, die man noch begehen wollte. Ein Ritter, der für einen Raub
bezahlt hatte, überfiel den Tetzel und nahm ihm seine Gcldkistcn. Dann zeigte er
ihm den Ablaßbrief. Selbst Milch- und Butterbriefe bot Tetzel feil für solche, die in
der Fastenzeit Milch und Butter essen wollten. Den Bergleuten in Annaberg rühmte
er, cs würden alle Berge lauter Silber werden, wenn sie Ablaß lösetcn. Sein Wahl-
spruch war: „Wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele in den Himmel springt."
Er rühmte sich, durch seinen Ablaß mehr Seelen in deir Himmel gebracht zu haben
als sämtliche Apostel mit ihrer Predigt.
Tetzel kam auch in das Städtchen Iüterbogk, vier Meilen nord-
östlich von Wittenberg. Hierhin liefen auch die Leute aus Wittenberg und
kauften Ablaß. Als Luther in der Beichte etliche von ihnen ermahnte,
Buße zu thun, zeigten sie ihm ihre Ablaßzettel und meinten, Buße sei
nicht mehr nötig. Er aber sprach: „Wenn ihr euch nicht bekehret, werdet
ihr umkommen." Da eilten sie erschrocken und ärgerlich zu Tetzel zurück
und meldeten ihm, daß Luther seine Ablaßbriefe nicht anerkennen wolle.
Darauf fing Tetzel an zu wüten und zu fluchen und Luther als einen
Erzketzer zu verdammen. Dieser aber predigte unerschrocken wider den Ablaß
und lehrte die Leute, wer Buße thue sein Leben lang, der empfange Gnade.
3i. Qkt. b. Die 95 Thesen. Da aber Tetzel und sein Anhang ihr Werk
1517 noch verteidigten, schlug Luther am 31. Oktober 1517 an die Thür der
Schloßkirche 'zu Wittenberg 95 Thesen (Sätze) gegen Tetzels Ablaß. Noch
an demselben Tage sandte er dem Erzbischof Albrecht einen Brief, dem
die Thesen beigelegt waren.
Einige der Thesen lauten:
„Da unser Herr und Meister Jesus Christus sprach: Thut Buße! wollte er,
daß das ganze Leben seiner Gläubigen aus Erden eine stete Buße sei.
Die werden samt ihren Meistern zum Teufel fahren, die da vermeinen, durch
Ablaßbriefe ihrer Seligkeit gewiß zu sein.
Die predigen Menschentand, die da vorgeben, daß, sobald das Geld im Kasten
klingt, die Seele aus dem Fegefeuer fahre.
Man soll die Christen lehren, daß, wer den Armen giebet oder leihet den
Dürftigen, besser thut, als wer Ablaß löset.
Man soll die Christen lehren, daß der Papst, so er wüßte des Ablasses Schinderei,
lieber wollte, daß St. Peters Münster zu Pulver verbrannt würde, denn daß es sollte
mit Haut, Fleisch und Bein seiner Herde erbaut sein.
Die Schätze des Evangeliums siud Netze, in denen man vor Zeiten die Leute
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Extrahierte Personennamen: Albrecht Joachim_I._von_Brandenburg Apostel Luther Albrecht Albrecht Jesus_Christus Peters
Extrahierte Ortsnamen: Mainz Magdeburg Deutschland Gottes Annaberg Wittenberg Wittenberg Wittenberg
Vor red es
f s ist nicht meine Schuld- wenn dieser Band spas
ter erscheint, als es die Liebhaber des Buchs
wünschten, sondern manü)erley Hindernisse, von
denen manche mir sogar den Auch bey der Arbeit benah-
men, verzögerten ihn, Auch die Bearbeitung selbst,
vornemiich aber die Behandlung der Weltgeschichte, hak
mir viele Zeit weggenommen. Es ward mir nemlich,
so oft ich tm Vorträge dieser wer'tlauftigen Wissenschaft
vorrückte, immer schwerer, die Begebenheiten kurz und
doch zugleich im Zusammenhänge zu erzählen, und das
von meinen Freunden über die im zweyten Bane enthal-
tene Geographie gefällete doppelte Urkheil, nach welchem
ich, wie einige derselben behaupten, sie zu kurz, nach
anderer Meynung dagegen zu tveitläuftig behandele
habe — machte mich oft Tage lang unschlüssig. Daß
Weltgeschichte, wenn sie anders ihren Zweck erreichen
soll, in einem gewissen Zusammenhangs vorgetragen
werden, und also nicht aus dürren Namen und Zahlen
bestehen müsse, darüber ist man längst eins» Welche
Gränzen ich aber in dem großen, unabsthlichen Felde
der Weltgeschichte für Meine Leser ziehen müsse, das,
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Die Weltgeschichte.
£
viele, sehr viele wichtige Dinge werde auslassen müssen.
Von manchen Zeiten und Völkern werde ich Euch ohnehin
nicht viel sagen können, wenn ich auch wollte: denn von
den ersten Menschen z. B. wissen wir nur sehr wenig,
weil diejenigen, die uns Begebenheiten aus den Zeiten
jener ersten Menschen hatten melden können, die Kunst zu
schreiben noch nicht verstanden. Sogar bey vielen heuti-
gen Völkern giebt cö noch keine Schreibkunst, und also
auch keine Männer, die ihre Geschichte aufschreiben kön-
nen; und unter manchen andern Völkern sind die Schrif-
ten ihrer Geschichtschreiber durch Kriege, Feuer, Erd-
beben oder durch andere Schicksale vernichtet worden.
Ehe wir nun diese neue Arbeit anfangen, muß ich
mit Euch erst noch über einen Umstand einig werden, der
uns dieselbe sehr erleichtern kann. Euch so viele Bege-
benheiten vom Anfänge der Welt her, bis aus unsere Zei-
ten ohne eine gewisse Ordnung zu erzählen: nicht wahr,
das würdet Ihr Euch verbitten? Diese Ordnung will ich
nun von meiner Seite, so viel ich kann, zu beobachten
suchen; aber Ihr müsset mir auch versprechen, daß Ihr
Eurer Seitö Eure Aufmerksamkeit und vorncmlich Euer
Gcdachtlttß sieißig gebrauchen wollet, um alles gehörig
zu fassen. Da wir nemlich die Begebenheiten, die sich
in Zeit von beynahe 6200 Jahren unter so vielen Völkern
der Erde zugetragen haben, nicht mit einem Blick über-
sehen können, so wollen wir uns Standplätze auösuchen.
Einen solchen Platz wollen wir allemal bey einer sehr groß-
ßen Begebenheit, oder bey einem sehr merkwürdigen Volk,
oder bey einem sehr berühmten Menschen machen. So
werde ich Euch z. B. zuerst erzählen, was für merkwür-
dige Veränderungen von Erschaffung der Welt an, bis
zur Sündfluth vorgefallen sind; ohne mich um die Bege-
benheiten, die spater geschehen, zu bekümmern. Es soll
also das Zahr der Sündflvth uns unfern erste» Standplatz
ixt#
TM Hauptwörter (50): [T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer]]
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Die Weltgeschichte.
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verschaffen, von wannen wir bis in die ersten Zeiten der
Erde hinein blicken, d. h. es soll uns unsere erste Abthei-
lung geben. Eine solche Begebenheit nun, die wir zur
Abtheilung in der Geschichte gebrauchen, wollen wir einen
Zeitpunkt, oder eine Epoche nennen, die Zeit aber, wel-
che Zwischen zwey Epochen verflossen ist, soll Periode
oder Zeitraum heißen. Und um solcher Perioden gleich-
falls nicht allzuviel zu machen, wollen wir die ganze
Weltgeschichte in zwey große Haupttheile trennen, nem-
lich in die Geschichte vor und in die Geschichte nach
Christi Geburt. Ein jeder derselben soll sechs Perioden
bekommen, ss daß Ihr also, nachdem Ihr zwölfmal
ausgeruhet habet, die ganze Weltgeschichte kennen sollet.
Auf diese Art bringen wir unserm Auge die Begebenheiten
gleichsam näher, und können sie also besser übersehen,.
Erster Hauptthei!.
Begebenheiten vor Christi Geburt.
Erster Zeitraum.
Von Adam bis Noah, oder von der Schöpfung
bis auf die Sündfluth. Vom Jahr r bis 1656.
^)or beynahe 6202 Jahren war unsere Erde das, was
ein in Trümmer gefallenes Gebäude ist, war ein unge-
heurer durch Feuer zerstörter Klumpen, oder sie war, wie
der erste Geschichtschreiber, Mose-, sagt, wüste und
leer. Wie lange diese zerstörte Welt vorher gestanden,
was für Einwohner sie gehabt: das weiß kein Mensch. —
Damit nun aufs neue vernünftige und vernunftlose Ge^
schöpfe darauf wohnen und sich freuen sollten, bildete der
N 4 allmäch-
TM Hauptwörter (50): [T21: [Erde Sonne Tag Jahr Mond Zeit Stunde Punkt Abschnitt Periode], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T4: [Reich Zeit Staat Volk Deutschland Jahrhundert Land Macht deutsch Geschichte]]
TM Hauptwörter (100): [T30: [Periode Abschnitt erster zweiter Zeitraum dritter Jahr Kapitel Sonne Planet], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T26: [Gott Christus Christ Volk Herr Jahr Kirche Land Zeit Jude], T77: [Baum Nacht Himmel Wald Tag Gott Kind Vogel Sonne Blume], T42: [Körper Wasser Luft Blut Mensch Pflanze Haut Tier Speise Stoff]]
TM Hauptwörter (200): [T179: [Gott Mensch Wort Welt Erde Glaube Herr Sünde Himmel Satz], T91: [Geschichte Krieg Zeit Zeitalter Mittelalter Revolution Reformation deutsch Jahrhundert Ende], T8: [Abschnitt erster Periode zweiter Zeitraum dritter Kap Buch Kapitel vierter], T142: [Stadt Dorf Mauer Haus Burg Straße Kirche Schloß Graben Zeit], T51: [Kind Himmel Nacht Sonne Tag Gott Wald Baum Blume Feld]]
Die Weltgeschichte
Allmächtige Werkmeister diese zerstörte Erde mit, und gas
ihr die Form einer Kugel. Da entstand festes Land und
Meer; da thürmten sich Verge auf und Flüsse stürzten
von ihnen herab; da stiegen Dämpfe empor und bildeten
Wolken, Regen und Schnee; da sproßten Pflanzen,
Blumen und Bäume; da krochen, schwebten, schwam-
men, siogen, wandelten Würmer, Insekten, Fische,
Vögel und Saugethiere. Und als nun das ganze schöne,
prächtige Gebäude mit allen seinen unzähligen Theilcn in
feiner herrlichen Ordnung da stand, gab ihm seine all-
mächtige Hand Zum crstenmale die Bewegung: und von
diesem Augenblick an lief die neue Erde, in Gesellschaft
ihrer übrigen Schwestern, der Planeten, um ihre allge-
meine Leuchterin und Erwärmerin, um die Sonne, und
um sich selbst. So entstanden denn Tag und Nacht,
Monate und Jahre, und Frühling, Sommer, Herbst
und Winter.
Aber noch fehlte der, der diese Welt als Statthal-
ter Gottes regieren sollte; der Mensch war noch nicht
vorhanden; erst sollte ja seine Wohnung völlig für ihn ge-
schmückt, sein Tisch bereitet, sein Reich geordnet seyn»
Und nun, da der Allgütige für altes dieö gesorgt hatte,
da bildete er denn auch ein Geschöpf, das nicht, wie die
Thiere deö Waldes, an der Erde kriechen, sondern auf-
recht gehen; daö nicht, wie daö Aieh, nach dummen
Trieben handeln, sondern gleich Engeln mit Vernunft
und Weisheit begabt ftyn, und dabey einen schönen, ge-
rade gebauten und schlank geformten Körper haben sollte?
bcn Menschen bildete er, und zwar zuerst einen Mann,
den der Schaffende von dem Staube, woraus dies Ge-
schöpf ìntstand, Adam nannte. Da stand er jetzt in
seinem Gebiet, der erste König, und überschaute da-
junge Land mit alle dem, was darin lebte u«d webte.
Der Löwe nahte sich ihm neugierig und brüllte ihn seinen
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